Haarausfall

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Manche Ärzte zucken regelrecht zusammen, wenn sie das Thema Haarausfall hören. Auch ich muss zugeben, dass die Haarsprechstunde zwar Spaß macht, aber auch sehr anstrengend ist. Denn es handelt sich hier oft um Krankheiten, die schwer zu behandeln sind, und die Patienten haben einen hohen Leidensdruck. Nach einer ausführlichen Anamnese folgt die Diagnostik und ich untersuche zunächst bei den Patienten die Kopfhaut, Haardichte und- beschaffenheit, meist wird eine Blutanalyse und ein Trichogramm/Trichosense durchgeführt. Oft zeigen sich in der Blutanalyse keine Auffälligkeiten, Schilddrüsenwerte, Eisen, Ferritin, Zink usw. befinden sich im Normalbereich. Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass die Patienten oft schon eine Odysee hinter sich haben und jegliche Shampoos ausprobiert und Nahrungsergänzungsmittel genommen haben. Wie oft kommen die Patienten zu mir mit einer Tüte voller Produkte, die im Sprechzimmer ausgebreitet werden und klagen ihr Leid, dass nichts davon geholfen hat. Wir sind dann die letzte Hoffnung und Anlaufstelle – Challenge accepted!


Beim Haarausfall muss natürlich zwischen den verschiedenen Diagnosen unterschieden werden – während die frontal fibrosierende Alopezie und die Alopezia areata auf Entzündungsprozessen beruhen und die Haarfollikel dauerhaft oder vorübergehend geschädigt werden, handelt es sich bei der Alopezia androgenetica um einen „hormonellen“ bzw. den genetisch bedingten Haarausfall. Manche Patienten sind sehr erstaunt, dass dieser auch schon in frühen Lebensphasen beginnen kann und nicht erst weit über 50 Jahren! Die bei den Patienten aufkommende Panik – ich möchte keinem zu nahe treten – ist im Regelfall bei Frauen deutlich größer als bei Männern. Gesellschaftlich ist die „Männerglatze“ anerkannt. Wenn die Haare in den Geheimratsecken und am Vertex weniger werden, wird erstmal retuschiert mit längeren Haaren oder besonderen Haarschnitten, irgendwann kommt jedoch der Kahlschlag und der Kopf wird einfach rasiert – für Frauen meist undenkbar! Aber hier gibt es inzwischen neue Role Models auf Social Media und Co. – spätestens als die Bachelorette sich medienwirksam die Perücke vom Kopf zog, wurde die Alopezia areata salonfähig.


Die androgenetische Alopezie, die die meisten von uns irgendwann betrifft, wird mit Minoxidil oder östrogenhaltigen Tinkturen behandelt. Und diese Behandlungen haben Erklärungsbedarf! Ich nehme mir dafür beim Erstgespräch immer besonders viel Zeit, damit die Patienten ausführlich aufgeklärt sind und die Entwicklungen richtig einordnen können. „Shedding“, der zunächst verstärkte Haarausfall bei Beginn einer Therapie mit Minoxidil, da die vermehrt nachwachsenden Haare die alten herausschieben, kann bei den Patienten regelrechte Panik auslösen. Auch über die notwendige lebenslange Anwendung und mögliche Nebenwirkungen muss gesprochen werden. Total in Mode ist die PRP - Platelet rich Plasma – Behandlung, bei der in regelmäßigen Abständen das plättchenreiche Blutplasma der Patienten in deren Kopfhaut gespritzt wird. Als Ultima Ratio steht noch die Haartransplantation zur Verfügung, die in spezialisierten Zentren durchgeführt werden sollte. Inzwischen gibt es einige Neuerungen in der medikamentösen Therapie von Haarausfall. Finasterid, das bisher bei Männern nur oral angewendet wurde, ist seit Dezember 2022 zur topischen Anwendung bei gleicher Wirksamkeit und geringerem Nebenwirkungsprofil zugelassen. Na, habt ihr das schon rezeptiert? Für die ganz mutigen Dermatologen unter uns ist eine off-label-Behandlung mit dem niedrig dosierten oralen Reserve-Antihypertensivum Minoxidil denkbar, man muss allerdings auch mögliche Nebenwirkungen managen können. Viele Hoffnungen beruhen auf der neuen Therapie mit JAK-Inhibitoren, die bisher bei der atopischen Dermatitis Anwendung fanden. Der JAK-Inhibitor Baricitinib ist seit Juni 2022 von der EMA für Alopezia areata zugelassen, allerdings noch nicht erstattungsfähig. Hier muss ein Antrag bei der Krankenkasse auf Kostenübernahme gestellt werden in der Hoffnung, dass dieser genehmigt wird. Es ist wirklich schade, dass die Erstattung der Kosten nicht grundsätzlich übernommen wird, denn ich merke bei vielen Patienten, dass es sich eben nicht um eine „kosmetische Angelegenheit“ handelt, sondern um eine psychisch belastende ernstzunehmende Erkrankung. Aber man sieht: Es bewegt sich was! Haarausfall darf nicht mehr nur als Lifestyleerkrankung abgetan werden! Wegen des hohen Gesprächsbedarfs und der Emotionalität des Themas sind „Haarpatienten“ nicht sehr beliebt. Ich empfehle dabei viel Geduld und Empathie den Patienten gegenüber. Denn überlegen wir uns mal, wir hätten nicht Medizin studiert, keine Ahnung von Haarausfall und uns würden plötzlich Haare fehlen – bekommt da nicht jeder ein mulmiges Gefühl? Schließlich stehen Haare in unserer Gesellschaft für Gesundheit, Vitalität, Attraktivität und ein gepflegtes Erscheinungsbild. Also nehmen wir die Angst dieser Patienten an, beantworten ihre überzähligen Fragen, beruhigen, klären auf und behandeln – meist lebenslänglich – für die Patienten und uns.

Eure Katharina

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