Diagnose
27. August 2019
IgG4-assoziierte Orbitopathie der rechten Tränendrüse
Therapie und Verlauf
Die dermatologische, HNO-ärztliche und ophthalmologische Vorstellung zeigten sich bis auf einen dezenten Exophthalmus von 2 mm sowie eine Hebungs- und eine geringgradige Abduktionseinschränkung des rechten Auges unauffällig. Laborchemisch, virologisch und bakteriologisch zeigten sich keine Auffälligkeiten. Die IgG-Subklassen-Analyse ergab Normwerte im Serum. Nach bioptischer Diagnosesicherung durch eine transkutane Tränendrüsenbiopsie erfolgte die Therapie mit systemischen Methylprednisolon. Zur Remissionsinduktion erhielt der Patient initial über zwei Wochen täglich eine körpergewichtsadaptierte Dosis von 0,6mg/kg Körpergewicht. Nach Besserung der Symptomatik erfolgte die anschließende Dosisreduktion um 4mg alle vier Tage. Eine erneute Schwellung mit Schmerzen des rechten Auges bei einer Schwellendosis von 8mg Methylprednisolon machten eine erneute Dosiseskalation bis auf 24mg Methylprednisolon notwendig. Unter nachfol-gender langsamerer Dosisreduktion um 2mg Methylprednisolon alle zwei Wochen ist der Patient aktuell unter einer Erhaltungsdosis von 4mg Methylprednisolon beschwerdefrei. Ein vollständiges Absetzen der Glukokortikoidtherapie wird angestrebt.
Diskussion
Die IgG4-assoziierte Orbitopathie (IgG4-related ophthalmic disease; IgG4-ROD) gehört zur polymorphen Krankheitsentität der IgG4-assoziierten Autoimmunerkrankung (IgG4-related disease; IgG4-RD). Diese wurde 2001 erstmalig bei einer sklerosierenden Pankreatitis beschrieben [1]. Die Pathogenese ist bis heute nicht vollständig geklärt, wobei die B-Zell-Antwort auf ein unbekanntes Antigen mit nachfolgender Infiltration IgG4-positiver Zellen zu einer Fibrosklerose betroffener Gewebe führt. Die Inzidenz liegt in Japan bei 0,28–1,08/100000 Einwohner mit männlicher Prädominanz [2]. Diskutiert wird, ob die IgG4-ROD in einem Kontinuum der lymphoiden Hyperplasie der Orbita zum Lymphom steht. Übergänge sind beschrieben [3]. Histologisch ist die IgG4-RD durch eine sklerosierende Entzündung mit einer erhöhten Zellzahl IgG4-positiver Plasmazellen gekennzeichnet. Ein erhöhter IgG4-Serumspiegel ist nicht obligat, kann aber für eine systemische Beteiligung sprechen. Da jedes Organ oder Gewebe involviert sein kann, besonders Gallenwege, Pankreas, Tränen- und Speicheldrüse, wird von einer Multisystemerkrankung ausgegangen [4]. Hautmanifestationen in Form erythematöser Plaques oder subkutaner Nodi mit Prädilektion an Gesicht und Hals sind in bis zu 6,4% der Patienten beschrieben [5, 6].
Die IgG4-assoziierte Orbitopathie kann uni- oder bilateral auftreten. Die Tränendrüse ist im Bereich der Orbita mit nahezu 90% am häufigsten betroffen [7]. In vier von fünf Fällen ist eine schmerzlose Lidschwellung ein Frühsymptom. In diesem Stadium muss auch an eine seltene Manifestation eines Lupus erythematodes, eine Urtikaria oder ein Mastzell- oder Bradykinin-vermitteltes Angioödem gedacht werden [8–10]. Der zeitliche Symptomverlauf ermöglicht häufig eine erste Einordnung. Im Progress der IgG4-ROD können Exophthalmus und schmerzende Augenmotilitätsstörungen auftreten. Bei Verdacht ist die Magnetresonanztomographie das bildgebende Verfahren der Wahl. Neben der eigentlichen kontrastmittelaufnehmenden Raumforderung des betroffenen Gewebes kann eine Beteiligung der Äste des Nervus trigeminus, insbesondere des infraorbitalen Astes hinweisend für eine IgG4-ROD sein [11, 12]. Differenzialdiagnostisch kommen Sarkoidose, endokrine Orbitopathie, idiopathische orbitale Entzündung und ein maligner Prozess – insbesondere Lymphome – in Betracht [13]. Da gerade bei den orbitalen Formen der IgG4-RD der Serum IgG4-Spiegel oft nicht erhöht ist, stellt die Biopsie mit histologischer Sicherung den Goldstandard der Diagnostik dar.
Therapeutisch spricht die IgG4-ROD schnell auf systemische Glukokortikoide an. Die Rezidivraten bei einer Glukokortikoid-Monotherapie liegen zwischen 20,8% bis 43%, wobei initial hohe IgG4-Serumspiegel und eine zu kurze Therapiedauer negative prädiktive Faktoren darstellen [14, 15]. Alternative Therapieoptionen sind steroidsparende Immunsuppressiva wie Methotrexat, Azathioprin oder Mycophenolatmofetil. Auch der monoklonale Anti-CD20-Antikörper Rituximab scheint eine vielversprechende Behandlungsoption zu sein [16].
In unserem Fall stellte sich eine anfänglich harmlos erscheinende Lidschwellung als orbitale Manifestation der seltenen IgG4-RD dar, die in der jüngeren Vergangenheit vermehrt wissenschaftliche Aufmerksamkeit erlangt hat. Die IgG4-ROD sollte als Differenzialdiagnose bei periorbitalen Ödemen erwogen werden, da Lidschwellungen in bis zu 81% von histologisch gesicherter IgG4-ROD das Erstsymptom darstellen [17]. Darüber hinaus sollte das Krankheitsbild auch unter Dermatologen Aufmerksamkeit finden, da ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Patienten kutane Symptome aufweist. Aufgrund der mannigfaltigen Krankheitsexpression und der radiologisch (pseudo-)tumorösen Erscheinung ist eine Diagnosestellung oft anspruchsvoll und verlangt stets interdisziplinäre Kommunikation. Eine bioptische Absicherung der Diagnose wird vor allem zum Ausschluss eines malignen Prozesses dringend empfohlen. Trotz der ungeklärten Pathogenese ist die Prognose bei vergleichsweise einfacher Therapie gut. Inwieweit bei Diagnosestellung eine weitere Umfelddiagnostik nötig ist, muss in Abhängigkeit von Lokalisation, Symptomatik und Serum-IgG4-Werten im Einzelfall entschieden werden.
Interessenkonflikt: Keiner.
Literatur
1 Hamano H, Kawa S, Horiuchi A etal. High serum IgG4 concen-trations in patients with sclerosing pancreatitis. N Engl J Med 2001; 344: 732–8.
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3 Nishida K, Sogabe Y, Makihara A etal. Ocular adnexal mar-ginal zone lymphoma arising in a patient with IgG4-related ophthalmic disease. Mod Rheumatol 2016: 1–5.
4 Stone JH, Zen Y, Deshpande V. IgG4-related disease. N Engl J Med 2012; 366: 539–51.
5 Kempeneers D, Hauben E, Haes P de. IgG4-related skin lesions: Case report and review of the literature. Clin Exp Dermatol 2014; 39: 479–83.
6 Takayama R, Ueno T, Saeki H. Immunoglobulin G4-related disease and its skin manifestations. J Dermatol 2017; 44: 288–96.
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10 Bork K, Maurer M, Bas M etal. Hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel. AWMF-Leitlinie 061–029. Allergo J 2012; 21:109–18.
11 Lecler A, Zmuda M, Deschamps R. Infraorbital nerve involve-ment on magnetic resonance imaging in Ig4-related ophthal-mic disease: a highly suggestive sign. Ophthalmology 2018; 125: 577.
12 Soussan JB, Deschamps R, Sadik JC etal. Infraorbital nerve involvement on magnetic resonance imaging in European patients with IgG4-related ophthalmic disease: A specific sign. Eur Radiol 2017; 27: 1335–43.
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16 Carruthers MN, Topazian MD, Khosroshahi A etal. Rituximab for IgG4-related disease: A prospective, open-label trial. Ann Rheum Dis 2015; 74: 1171–7.
17 Park J, Lee MJ, Kim N etal. Risk factors for extraophthalmic in-volvement and treatment outcomes in patients with IgG4-relat- ed ophthalmic disease. Br J Ophthalmol 2018; 102: 736–41.
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