Diagnose

Diagnose:
Kutane Diphtherie

Im Wundabstrich gelang neben dem Nachweis von Streptococcus pyogenes auch der Nachweis von Corynebacterium diphtheriae. Die Bestätigung erfolgte durch das Nationale Konsiliarlabor für Diphtherie in Oberschleißheim durch Toxinnachweis mittels tox-PCR (Toxingennachweis) und Elek-Test (Nachweis der Toxinproduktion). In Zusammenschau aller Befunde konnte die Diagnose einer kutanen Diphterie gestellt werden.

WEITERE BEFUNDE UND THERAPIE
In der Hautbiopsie zeigte sich eine subkorneale Neutrophilenansammlung mit angedeuteter Akantholyse und zytopathisch veränderten Keratinozyten, sodass zusätzlich der Verdacht auf eine Herpesinfektion bestand. Die Serologie und PCR für VZV, HSV und CMV blieben jedoch negativ. Weiterhin konnten Affenpocken nicht nachgewiesen werden.
Wir initiierten nach Rücksprache mit der Mikrobiologie eine Antibiose mit Ampicillin/Sulbactam 3 g 3 x täglich in Kombination mit Aciclovir 10 mg/kg Körpergewicht (KG). Bei Nachweis einer Soorcandidose behandelten wir zusätzlich mit Fluconazol 400 mg 1 x täglich. Unter der Therapie zeigte sich eine deutliche Abheilungstendenz der Erosionen und Abfall der Entzündungsparameter (Abbildung 3a,b). Der Patient wurde zur Therapie bei HIV-Erstdiagnose in ein infektiologisches Zentrum verlegt.

DISKUSSION
Die Diphtherie ist insbesondere aufgrund der verbesserten Hygiene und der verfügbaren Impfung eine heutzutage bei uns selten gewordene infektiöse Erkrankung. Während in Ländern mit schlechter Impfrate und ungünstigen Lebensbedingungen vor allem die respiratorische Krankheitsmanifestation mit einer Sterblichkeit von 5–10% im Vordergrund steht, ist in Europa mittlerweile die kutane Diphtherie die häufigste Manifestationsform. Im Jahr 2019 wurden dem Robert Koch-Institut 15 Fälle von Diphtherie gemeldet, allesamt kutane Diphterie, wobei nur drei davon von Corynebacteriumdiphtheriae (in der Regel importierte Infektionen) und 80% durch das primär zoonotisch übertragene Corynebacterium ulcerans (hauptsächlich nach Kontakt zu Haustieren wie Hund und Katze) ausgelöst wurden. (1)

Ein Beispiel für eine importierte Infektion der kutanen Diphtherie liefert der Fallbericht von Rapport et al. (2) In dieser Publikation wurde ein zuvor hautgesunder 63-jähriger Patient vorgestellt, der während einer Thailandreise Ulzerationen mit Pseudomembranen an den Extremitäten entwickelte. Auch hier konnte, wie bei unserem Patienten, Corynebacterium diphtheriae nachgewiesen werden.
Die Übertragung der kutanen Diphtherie erfolgt durch direkten Kontakt mit Hautläsionen oder durch Kontakt mit kontaminierten Gegenständen sowie inhalativ. Die respiratorische Diphtherie wird vorrangig über Tröpfcheninfektion übertragen. Mangelnde Impfung und Hygiene, Immunkompromittierung und Reisen in Endemiegebiete sind Risikofaktoren für Diphtherie. (3)

Wie sich eine Immunkompromittierung, wie in unserem Fall eine bisher unbehandelte HIV-Infektion, auf die kutane Diphterie auswirkt, ist bisher nicht erforscht, da es nur vereinzelte Fallberichte zu diesem Thema gibt. In unserer durchgeführten Literaturrecherche konnte kein Fall einer kutanen Diphtherie bei HIV-Erstdiagnose gefunden werden. Insbesondere in Krisenregionen wurde in den letzten Jahren ein Anstieg der Inzidenz der Diphtherie beobachtet. (4) Aktuell wird in verschiedenen europäischen Ländern ähnlich wie im Jahr 2015, (5) eine Häufung bei Geflüchteten beobachtet. (6)
Behandelt wird die kutane Diphtherie mit Penicillin, Erythromycin oder parenteral mit Benzylpenicillin. Bei der respiratorischen Diphtherie ist die frühzeitige Gabe von Antitoxin zur Verhinderung der möglicherweise letalen lokalen und systemischen Folgen wie neurologischen oder kardialen Symptomen obligat. Bei der kutanen Diphtherie ist wegen der geringen systemischen Diffusion des Diphtherietoxins nur in sehr seltenen Fällen, zum Beispiel bei großen Hautläsionen (>2cm2) und/oder Pseudomembranbildung, eine Antitoxingabe sinnvoll. (7)
Da sich die Hautläsionen bei dem vorgestellten Patienten bereits allein durch die Antibiose gut zurückgebildet hatten, wurde hier trotz der Größe der Hautläsionen und dem Vorhandensein einer Pseudomembran auf eine Antitoxingabe verzichtet. Die kutanen Läsionen gelten mindestens zwei Wochen als infektiös, weshalb die antibiotische Therapie ebenfalls für diesen Zeitraum durchgeführt werden sollte. Anschließend sollten zwei negative Abstriche kutan und aus dem Rachen bis zur Entisolierung der Patienten vorliegen. (8)
Bei unserem Fall wurde initial eine empirische Antibiose mit Ampicillin/Sulbactam eingeleitet. Eine Umstellung nach Erhalt des Antibiogramms auf Penicillin und Erythromycin wurde diskutiert. Da bei Corynebacterium diphtheriae jedoch Unsicherheiten bezüglich der Bewertung gemessener Antibiotikahemmhöfe und MHK (Minimale Hemmkonzentration)-Werte bestanden, wurde die Antibiose nach Rücksprache mit der Mikrobiologie bei Besserung des klinischen Befundes beibehalten. Aufgrund der steigenden Fallzahlen wurden Daten zur besseren Bewertung des Antibiogramms inzwischen von der EUCAST (The European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing) vorab öffentlich zugänglich gemacht. (9) Dies bedeutet, dass bei zukünftigen Fällen der kutanen Diphtherie das Antibiogramm als Basis für die Therapieentscheidung genutzt werden kann.

Interessenkonflikt
Keiner.

Literatur
1. Robert Koch-Institut. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2019, Berlin, 2020.
2. Rappold LC, Vogelgsang L, Klein S, et al. Primary cutaneous diphtheria: management, diagnostic workup, and treatment as exemplified by a rare case report. J Dtsch Dermatol Ges. 2016;14(7):734-736.
3. Sharma NC, Efstratiou A, Mokrousov I, et al. Diphtheria. Nat Rev Dis Primers. 2019;5(1):81.
4. Clarke KEN,MacNeil A, Hadler S, et al. Global epidemiology of diphtheria, 2000–2017. Emerg Infect Dis. 2019;25(10):1834-1842.
5. Meinel DM, Kuehl R, Zbinden R, et al. Outbreak investigation for toxigenic Corynebacterium diphtheriae wound infections in refugees from Northeast Africa and Syria in Switzerland and Germany by whole genome sequencing. Clin Microbiol Infect. 2016;22(12):1003.e1-1003.e8.
6. European Centre for Disease Prevention and Control. Increase of reported diphtheria cases due to Corynebacterium diphtheriae among migrants in Europe –6 October 2022. ECDC: Stockholm; 2022.
7. UK Health Security Agency. Public health control and management of diphtheria in England, September 2022. Available from: hier [Last accessed September 9, 2022].
8. Robert Koch-Institut. RKI-Ratgeber (2018). Available from: hier [Last accessed September 9, 2022].
9. European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing. Prepublication of breakpoints for EUCAST Clinical Breakpoint Tables v. 13.0. Available from: hier

[Last accessed November 4, 2022].

Die Diagnosequizze werden uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom 
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